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A. Gerichtliche Entscheidung

BAG (Zweiter Senat), Urteil vom 11.06.2020 – 2 AZR 374/19

vorgehend:

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.06.2019 – 20 Sa 1689/18
ArbG Brandenburg, Urteil vom 30.08.2018 – 4 Ca 187/17

B. Leit- und Orientierungssätze

1. Die gesetzliche Kündigungsfrist für Geschäftsführerdienstverträge, die keine Arbeitsverträge sind, ergibt sich aus § 621 BGB.
2. § 622 BGB ist, seinem Wortlaut entsprechend, nur auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses anzuwenden. Wegen der für freie Dienstverhältnisse bestehenden Regelung in § 621 BGB fehlt es an einer ausfüllungsbedürftigen planwidrigen Regelungslücke, die eine analoge Anwendung der Norm auf die Kündigung eines Geschäftsführer Anstellungsvertrags zuließe.

C. Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und die hierfür maßgebliche Kündigungsfrist.

Die Beklagte übernahm im Jahr 2009 im Wege eines Betriebsübergangs eine im Land Brandenburg gelegene Rehaklinik, in der die Klägerin bereits zuvor als Verwaltungsleiterin tätig war. Die Gesellschafterversammlung bestellte sie im Juli 2009 zur Fremd-Geschäftsführerin der Beklagten. Diese beschäftigte sie auf der Grundlage des schriftlichen Anstellungsvertrages vom 01.12.2009 zu einem Jahresgrundentgelt i.H.v. 100.000 € brutto, das in zwölf monatlichen Raten zu zahlen war. Nach § 19 Abs. 3 des Anstellungsvertrages ersetzt dieser sämtliche zwischen den Parteien bestehenden sonstigen Regelungen.

Ab Juli 2017 traten Spannungen zwischen der Klägerin sowie weiteren Geschäftsführern auf der einen und dem Verein, dessen Tochtergesellschaft die Beklagte ist, auf der anderen Seite auf. Im Juli 2017 verfassten die Klägerin und drei weitere Geschäftsführer einen Brief an den Aufsichtsrat des Vereins. Sie warfen dem Vereinsvorstand Untätigkeit, Unfähigkeit, eine verfehlte Personalpolitik bei der Stellenbesetzung im Verein und die fehlende Einbindung der Geschäftsführungen der Gesellschaften vor. Aus Sicht der Geschäftsführer seien die Vorstandsmitglieder des Vereins „weder menschlich noch fachlich in der Lage den Verein … in die Zukunft zu führen".

Die Gesellschafterversammlung beschloss am 28.02.2018 die ordentliche Kündigung der Klägerin und ihre Abberufung als Geschäftsführerin zum 01.03.2018.mit einem auf den 27.02.2018 datierten und der Klägerin am Folgetag übergebenen Schreiben kündigte die Beklagte das Anstellungsverhältnis ordentlich zum 31.05.2018 mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung des Anstellungsverhältnisses gewandt. Sie macht geltend, bei Zugang der Kündigung Arbeitnehmerin gewesen zu sein. Über die für das Amt einer Geschäftsführerin prägenden Verantwortungs- und Entscheidungskompetenzen habe sie zuletzt nicht mehr verfügt. Das ArbG gab der Klage gegen die Kündigung statt, das LAG wies sie im Wesentlichen ab und stellte fest, das Anstellungsverhältnis habe mit Ablauf des 30.06.2018 sein Ende gefunden.

D. Entscheidungsgründe

I. Keine soziale Rechtfertigung der Kündigung i.S. der §§ 14 Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 2 KSchG erforderlich

§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG enthält eine negative Fiktion. Danach gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nicht in Betrieben einer juristischen Person für die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist. Dies gilt uneingeschränkt jedenfalls dann, wenn die organschaftliche Stellung als Geschäftsführer zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (noch) besteht, vgl. BAG 21.09.2017 - 2 AZR 865/16. Im Streitfall stellt der Zweite Senat unter anderem fest: „Die Klägerin war im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch zu Geschäftsführerin der Beklagten bestellt. An der Stellung als Organmitglied im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG hatte sich durch die Beschränkung ihrer Vertretungsmacht im August 2017 nichts geändert. Nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen bestehen keine Anhaltspunkte, dass ihr die Stellung als Geschäftsführerin in rechtsmissbräuchlicher Weise lediglich deshalb belassen worden war, um ihr Anstellungsverhältnis einfacher Kündigungen zu können. (...)

Der Geschäftsführer einer GmbH wird für diese in aller Regel auf der Grundlage eines freien Dienstvertrags, nicht eines Arbeitsvertrags tätig. Auch gegenüber einem Geschäftsführer als freiem Dienstnehmer steht der Gesellschaft ein unternehmerisches Weisungsrecht zu. Eine Weisungsgebundenheit des GmbH-Geschäftsführers, die so stark ist, dass sie auf einen Status als Arbeitnehmer schließen lässt, kommt allenfalls in extremen Ausnahmefällen in Betracht, BAG 21.01.2019 - 9 AZB 23/18; BAG 24.11.2005 - 2 AZR 614/04; BGH 10.05.2010 - II ZR 70/09.“

II. Fehlende Schutzbedürftigkeit der Geschäftsführerin, keine arbeitnehmerähnliche Person

Zur Rechtstellung der Geschäftsführerin führt der Zweite Senat aus: „Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, bei der Klägerin sei keine mit einem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit gegeben, ist frei von Rechtsfehlern, zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab vgl. BAG 21.01.2019 - 9 AZB 23/18. Ihr Vortrag zu den seit Sommer 2017 vorgenommenen Beschränkungen ihrer Vertretungsmacht - seine Richtigkeit unterstellt - ändert nichts daran, dass die von ihr als Geschäftsführerin geleisteten Dienste nach ihrer sozialen Typik nicht mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sind, vgl. BAG 21.01.2019 - 9 AZB 23/18. An der mit Ihrem Amt verbundenen Rechtsstellung hat sich durch die nach § 37 Abs. 1 GmbHG möglichen internen Beschränkunge der Geschäftsführer der Gesellschaftbefugnisse und den Entzug der allein Vertretungsberechtigung nichts geändert. Die Klägerin verkörperte unverändert die Arbeitgeberin als gesetzliche Vertreterin der GmbH (vgl. BAG 21.09.2017 – 2 AZR 805/16). die Kündigung der Klägerin ist nicht gemäß § 612a BGB i.V.m. § 134 BGB nichtig. Die Klägerin ist keine Arbeitnehmerin und fällt nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift. Dahinstehen kann, ob § 612a BGB auch arbeitnehmerähnliche Personen erfasst. Die Klägerin ist keine arbeitnehmerähnliche Person.“

III. § 621 BGB - Gesetzliche Kündigungsfrist für Geschäftsführerdienstverträge

Der Zweite Senat betont, das Landesarbeitsgericht habe zutreffend angenommen, die Kündigung vom 27. Februar 2018 habe das Anstellungsverhältnis der Klägerin mit der in § 621 Nr. 4 BGB bestimmten Frist von sechs Wochen zum Schluss des Kalendervierteljahres zum 30. Juni 2018 beendet. Die Parteien hätten im Anstellungsvertrag die Frist für dessen ordentliche Kündigung nicht eigenständig geregelt, sondern lediglich auf „die gesetzliche Kündigungsfrist“ Bezug genommen. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts tritt damit der Auffassung des BGH entgegen, nicht an der Gesellschaft beteiligte Fremd-Geschäftsführer seien mit Arbeitnehmern vergleichbar und die entsprechende Anwendung des § 622 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. statt des § 621 Nr. 3 BGB liege gleichermaßen im Interesse des Geschäftsführers und der Gesellschaft. Nach nunmehriger Auffassung des BAG kann sich ein Geschäftsführer, der nicht Mehrheitsgesellschafter der GmbH ist und zu ihr in keinem Arbeitsverhältnis steht, nicht auf die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB berufen. § 622 BGB ist - seinem Wortlaut entsprechend - nur auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses anzuwenden. Wegen der für freie Dienstverhältnisse bestehenden Regelung in § 621 BGB fehlt es an einer ausfüllungsbedürftigen planwidrigen Regelungslücke, die eine analoge Anwendung der Norm auf die Kündigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrages zuließe. Aus diesem Grund ist es rechtlich ohne Bedeutung, ob das Fristenregime in § 622 Abs. 1 S. 1 BGB gegenwärtig noch als interessengerechter anzusehen ist als die Kündigungsfrist des § 621 Nr. 3 BGB. Mit der ab 15.10.1993 geltenden Neufassung des § 622 BGB hat der Gesetzgeber die Anbindung der Kündigungsfristenregelung an Arbeitsverhältnisse betont. Es ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass er die Kündigungsfristenregelung für (Fremd-) Geschäftsführer dort verortet sehen wollte. Wäre dies sein Wille gewesen, hätte die Neuregelung Anlass gegeben, die bestehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in eine gesetzliche Regelung zu übernehmen. Dies ist nicht erfolgt. Anhaltspunkte für ein diesbezügliches „Redaktionsversehen“ des Gesetzgebers bestehen nicht. Es wäre ferner ein Wertungswiderspruch, mit der Rechtsprechung des neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts § 622 BG nicht auf arbeitnehmerähnliche Personen anzuwenden, BAG 08.05.2007 - 9 AZR 777/06, wohl aber auf einen (Fremd-)Geschäftsführer, dessen geleistete Dienste nach ihrer sozialen Typik, BAG 21.01.2019 - 9 AZB 23/18. Die Kündigungserklärung der Beklagten hat danach das Anstellungsverhältnis der Klägerin mit der Frist des § 621 Nr. 4 BGB zum 30.06.2018 beendet. Da für Dienstverhältnisse, in denen - wie im vorliegenden Fall - die Vergütung nach Vierteljahren oder längeren Zeitabschnitten bemessen ist, die Kündigungsfrist nach § 621 Nr. 4 BGB sechs Wochen zum Schluss eines Kalendervierteljahres beträgt, kann die gegenüber der Klägerin ausgesprochene Kündigung als eine solche zum 30.06.2018 ausgelegt werden. Im Rahmen dieser Norm spielt die Dauer des Vertragsverhältnisses keine Rolle, sondern nur der Zeitabschnitt, für den die Vergütung bemessen ist, unabhängig von Auszahlungsmodus und Fälligkeit.

IV. Fazit und Handlungsempfehlung

Ein Tag oder sieben Monate? Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat eine hohe praktische Relevanz sowohl für die Gesellschaft als auch für den Geschäftsführer. Die Antwort auf die Frage, ob § 621 oder § 622 BGB die Kündigungsfrist des Geschäftsführers bestimmt, kann erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. Die Arbeitsgerichte, vor die Prozesse um die Beendigung von Geschäftsführer Anstellungsverträge aus zumeist strategischen Gründen getragen werden, werden sich in Zukunft an der BAG-Rechtsprechung ausrichten, was prozesstaktisch bedacht sein will. Denn damit geht den Fremd-Geschäftsführern der Schutz des § 622 BGB analog verloren. Entsprechend sorgsam sollten die Geschäftsführer nunmehr die Kündigungsfristen in ihren Anstellungsverträgen (nach-)verhandeln und gestalten, um böse Überraschungen im Streit-/Konfliktfall zu vermeiden. Fehler, die insoweit beim Abschluss unterlaufen, sind im Nachgang in aller Regel nicht wieder einfach "gut zu machen".

Für die Kündigungsfrist von GmbH-Geschäftsführern ist maßgebend, nach welchem Zeitabschnitt ihre Vergütung im Dienstvertrag bemessen ist. Ist die Vergütung nach Monaten bemessen, kann - ohne weitergehende vertragliche Regelung - gemäß § 621 Nr. 3 BGB spätestens am 15. eines Monats zum Schluss des Kalendermonats gekündigt werden. Ist die Vergütung nach Vierteljahren oder längeren Zeitabschnitten bemessen, beträgt die Kündigungsfrist sechs Wochen zum Schluss eines Kalendervierteljahres.

Kategorie: Dienstvertrag, Geschäftsführer, Kündigung, Kündigungsfrist, Kündigungsschutzprozess, arbeitnehmerähnliche Person, Vertragsgestaltung, Vertragsverhandlung, Vertragscheck

Autor: Dr. Joachim Holthausen

Veröffentlicht: 25.01.2020

Letzte Änderung: 25.09.2020